Das mit Digitalradio DAB+ die Programmvielfalt gefördert wird, haben die Schweiz und Großbritannien mit einer Technik namens „Small-Scale-DAB“ eindrucksvoll bewiesen.
Auf Basis einer für Linux entwickelten Open-Source Software, die die Encodierung, den DAB- Multiplex und die abschließende Modulation realisiert, können sogenannte DAB- Inseln, auch „Small-Scale-DAB“ genannt, im Kleinleistungsbereich geschaffen werden. Durch den Verzicht von herkömmlicher Hardware zur Ausstrahlung von Radiodiensten werden die Anschaffungskosten auf rund 10.000 Euro reduziert.
Die vergleichsweise geringen Kosten erlauben es, dass auch finanziell schwächer gestellte Lokalradios oder Webradios ihr Programm über DAB+ verbreiten können. Auch die zeitlich und lokal begrenzte Ausstrahlung von Veranstaltungsradios oder Campusradios ist denkbar. Füllsender in Gebieten mit einer geringen Bevölkerungsdichte können durch das „Small-Scale-DAB“ wirtschaftlich vertretbar betrieben werden. Zum Einsatz kommt die Technik bereits in Großbritannien und in der Schweiz.
Vom Veranstalter zum Netzbetreiber: die Digris AG
Die Züricher Digris AG veranstaltet seit Anfang 2010 unter dem Namen „Open Broadcast“ das erste vollständig user-generierte Radio der Schweiz. Im Jahr 2011 entschied sich der Veranstalter dazu, das Programm nicht weiter über das teure DAB+ Netz der Swissmediacast auszustrahlen und bemühte sich beim Bundesamt für Kommunikation BAKOM um eine eigene Funkkonzessionen zur Ausstrahlung von Radiostationen mit einem kleinen Budget.
Nachdem die BAKOM im Juni 2013 die Konzession erteilte, dauerte es noch bis Mai 2014, bevor der neue Netzbetreiber mit seinem ersten Sender in Genf „on air“ ging. Fortan nahmen sechs weitere DAB- Inseln in Zürich, Lausanne, Aarau, Winterthur-Schaffenhausen, Basel und Luzern-Zug-Nidwalden ihren Betrieb auf. Die Sendeleistung liegt jeweils unterhalb von 4 kW.
Jüngster Zuwachs ist die Region Unterwallis: Mit Inbetriebnahme der Sender in Martigny und Montana im November 2016 werden rund 67.000 Einwohner mit 15 Radioprogrammen von der Digris AG versorgt.
Weitere Meilensteile lagen in der Weiterentwicklung der Software. Seit Dezember 2014 wird das „Dynamic Label Segment“, vergleichbar mit dem UKW-Radiotext, verbreitet. Typische Inhalte sind Informationen zum gerade gespielten Musiktitel und Interpret oder aktuelle Kurznachrichten. Im Small-Scale-DAB in der Schweiz wird das DLS beispielsweise von den Radiostationen Maxxima, 7 Radio, IP Music und Word Radio Switzerland übertragen. Auch die Übertragung der MOT SlideShow konnte Ende 2014 realisiert werden.
Erfolg verzeichnete der Netzbetreiber auch bei der Umsetzung des Gleichwellennetzes, SFN (engl. für Single Frequency Network). Dabei wird ein Ensemble in benachbarten Gebieten auf mehreren Sendeanlagen verbreitet, um die Reichweite zu erhöhen. Über einen GPS-Zeitstempel werden die Übertragungen synchron zueinander gehalten.
Schweizer Digris AG nimmt weitere Standorte in Betrieb
Zu den acht DAB Inseln werden sich in diesem Jahr weitere Standorte gesellen.
Bereits im März 2017 soll das Schweizer Kanton Tessin versorgt werden. Erste Radiostationen für Sottoceneri, dem südlichen Teil des Tessin sind bereits gesetzt: Darunter das bislang nur in Zürich verbreite „Rundfunk FM“, dass aus einem 30-tägigen-Sommerradio-Projekt hervorging. „Backstageradio“ aus Fribourg sieht sich als das erste Schweizer Radio, dass ausschließlich auf Schweizer Musik setzt und dabei alle Genre bedient. Das Programm war bislang nur im Internet zu empfangen. Außerdem sollen die Programme „Open Brodcast“, „Iischers Radio“, „Traxx FM“, „Radio Gwendalyn“, „Radio Gwendalyn“ und „Vibracion Latina“ verbreitet werden.
Im Juni 2017 sollen die Gebiete Chur und Sarganserland, Biel, St. Gallen und Glarus von dem Netzbetreiber erschlossen werden. Im August 2017 wird Fribourg folgen. Schlusslicht bildet die Region Oberwallis, deren DAB Insel im Oktober 2017 in Betrieb genommen werden soll.
41 Radioprogramme im Small-Scall-DAB in der Schweiz – Veranstalter erhalten Subventionen
Wie der Website der Digris AG zu entnehmen ist, werden derzeit 41 verschiedene Radioprogramme im Small-Scalle-DAB-Verfahren verbreitet. Einige Veranstalter strahlen ihr Programm in mehreren DAB- Inseln aus. So wird das vom Netzbetreiber selbst veranstaltete Programm „Open Broadcast“ natürlich in allen Ensembles übertragen. Aber auch das 2009 gegründete Rockradio „Spoon Radio“ ist in allen DAB- Inseln zu empfangen.
Die neue Technologie der Digris AG kostet ein Radio durchschnittlich 2.000 Franken pro Jahr. Die Subventionen sind in diesen Kosten bereits inkludiert. In der Schweiz werden Radioveranstalter, die ihr Programm über DAB+ verbreiten, subventioniert. Für die Förderung neuer Technologien übernimmt die BAKOM bis zu 80 % der Verbreitungskosten. Die Unterstützung wird voraussichtlich bis zum Jahr 2024 gewährt. Zu diesem Zeitpunkt möchte der Bundesrat in der Schweiz das terrestrische Analogradio auf UKW einstellen. Mit der Förderung soll erreicht werden, dass die Umstellung von UKW auf Digitalradio DAB+ möglichst schnell voranschreitet.
67 Radioprogramme im Small-Scale-DAB-Projekt in Großbritannien
Im Jahr 2015 vergab die britische Regulierungsbehörde Ofcom zehn Versuchs-Lizenzen, um den Betrieb von DAB- Inseln in Portsmouth, Woking, Brighton, Bristol, Norwich, Manchester Birmingham, Glasgow, London und Cambridge zu erforschen.
Die Lizenznehmer erhielten eine standardisierte Sendetechnik, bestehend aus sechs Audio-Encodern, einem PC-Multiplexer, einem softwarebasierenden Modulator, einem Mast-Vorverstärker für VHF, einem 250 Watt Maskenfilter, einer Antenne, Kabel und weiterer Ausstattung wie einer Netzwerkweiche und einer USV.
Die von der Ofcom finanzierten Kosten beliefen sich auf 9.000 £ für eine einzelne Sendeanlage. Im Gleichwellennetz mit zwei Standorten kamen Kosten von 17.000 £ zusammen. Eine On-Channel-Repeater-Lösung wurde in Cambridge getestet. Die Kosten von 19.000 £ dafür wurden ebenfalls von Ofcom getragen. Obwohl die Strahlungsleistung jeweils unter 100 Watt lag, konnten im Großraum London mit dem Minimux über 1,5 Millionen Einwohner erreicht werden.
Die im September 2016 veröffentliche Studie zieht ein sehr positives Resümee aus dem Versuchsprojekt. Zu Beginn der Studie konnten in den zehn Multiplexen 63 Radiosender mit ihrer digitalen Verbreitung starten. Gegen Ende der Versuchslaufzeit von neun Monaten stieg die Zahl auf 67 Stationen an. Teilweise wurden die Programme in mehreren Multiplexen verbreitet. 33 Radiosender konnten ihr Programm dadurch erstmalig terrestrisch verbreiten. 12 Programme verbreiteten ihr Programm bereits analog oder digital und 22 Stationen sind Teil der von Ofcom lizensierten „Community“- Stationen.
Die Programme wurden größtenteils in DAB Classic übertragen. Bis September 2016 verbreiteten nur 27 Stationen ihr Programm über DAB+. Zwischenzeitlich stellen aber immer mehr Veranstalter ihre Verbreitung auf den effizienteren DAB+ Standard um oder haben dies für die nächsten Wochen geplant.
Small-Scale-DAB auch in Deutschland denkbar
In Nordrhein-Westphalen haben sich Radiopiraten zusammengeschlossen und einen Versuch unternommen, die verschiedene lokale Hörfunkstationen auch über DAB+ abzubilden. Im DAB Kanal 9B wurden über einen längeren Zeitraum die bereits lizensierten Programme Radio Bonn/Rhein-Sieg, Radio Berg und Radio Köln übertragen. Damit hat das „Radioteam West“ gezeigt, dass mit geringem technischen und finanziellen Aufwand auch Lokalstationen, Bürgerfunk und Hochschulradios über die softwarebasierte Open-Source-Lösung (Open Digital Radio) übertragen werden können. Die Piraten halten es für notwendig, dass die digitale Verbreitung vorangebracht wird und dabei auch die lokalen Radiostationen aus NRW eine Chance haben. Gesendet wurde mit einer Strahlungsleitung unterhalb von 10 Watt im Großraum Siegburg. Die „Piraten“ planen weitere Tests und bieten Ihr Know-How an, regionale Veranstalter bei der Umsetzung eines finanziell tragbaren Konzeptes zur Verbreitung ihrer Programme über DAB+ zu unterstützen. Ziel sei es, eine Alternative zu den großen Netzbetreibern aufzubauen.
Ein legaler Weg zum Aufbau eines Small-Scale-DAB-Projektes wird derzeit in Sachsen geplant. Dazu einigte sich der Medienrat der Sächsischen Landesanstalt für privaten Rundfunk und neue Medien (SLM) im Rahmen seiner Sitzung am 7. März 2016 auf die Realisierung einer Ausschreibung mit dem Ziel, eine kostengünstige digitale Hörfunkversorgung mit privaten Radioprogrammen im Stadtgebiet von Leipzig zu ermöglichen. Geplant ist der Aufbau und Testbetrieb eines lokalen DAB+-Netzes, das eine ca. 90-prozentige Versorgung aller Leipziger Haushalte mit privaten Hörfunkangeboten, z.B. mittels Kleinleistungssendern auf hohen Gebäuden erreicht. Die Ausschreibung soll Anfang 2017 auf den Weg gebracht werden. Die Verbreitungskosten werden von der SLM übernommen.
Schlechte Nachrichten dagegen aus Rheinland-Pfalz: Wie die Website satnews.de in einer Meldung vom 2. Januar 2017 berichtet, droht das Small-Scale-DAB-Projekt in Rheinland-Pfalz an den Kosten zu scheitern. Domradio Studio Nahe plante ein Ensemble zwischen Bingen und Bad Kreuznach. Zunächst sollte mit einer Leistung von 50 Watt im Kanal 12A gesendet werden, teilte der Mediendienst mit. Rund 25.000 Euro müssten aufgebracht werden, um den Mulitplex auf diese Weise in die Luft zu bringen.
Fazit: Durch die softwarebasierende Small-Scale-DAB-Lösung haben kleine Rundfunkveranstalter und nichtkommerzielle Stationen die Möglichkeit, ihre Programme kostengünstig über das Digitalradio zu verbreiten und die Programmvielfalt im Radio zu erweitern. Die in Großbritannien durchgeführten Pilotstudie war ein voller Erfolg. In der Schweiz werden in diesem Jahr weitere DAB- Inseln in Betrieb genommen. Radiopiraten haben in Nordrhein-Westfalen mit einer selbst finanzierten Lösung gezeigt, dass auch in Deutschland lokaler Hörfunk über DAB+ funktionieren kann. In Sachsen soll in den kommenden Wochen ein Small-Scale-DAB-Pilotbetrieb für die Stadt Leipzig ausgeschrieben werden.